Es ehrt dich, dass du die Initiative ergreifst. Und wahrscheinlich leidest du mit unter dieser Situation.
Nach meiner Erfahrung – ich habe dafür keine empirischen Beweise – wird diese Person (ich nennen sie ab jetzt „deine Person“) leider umso weniger Ratschläge von dir annehmen, je näher du ihr emotional stehst.
Das lässt sich relativ leicht erklären. Deine Person lässt dich nur deshalb so nah an sich heran, weil du ihr Sicherheit gibst. Der Ratschlag ein Coaching zu machen triggert aber erstmal ganz viel Unsicherheit. Viele Menschen fühlen sich dadurch regelrecht angegriffen. Sie haben bislang jedes Problem selbst lösen können, und sich Hilfe zu nehmen ist für sie ein Eingeständnis von Schwäche. Dementsprechend heftig fällt möglicherweise auch eine Abwehrreaktion aus.
Mit dem Ratschlag ein Coaching zu machen verlässt du also deine Rolle als verlässliche Stütze und wirst zum persönlichen Angreifer. Ich spreche aus eigener Erfahrung wenn ich mitfühle, was für eine frustrierende Erkenntnis das ist. Als ich frisch ausgebildeter Coach war, habe ich mein ganzes Umfeld mit meinen neuen Fähigkeiten beglücken wollen und musste sehr schnell lernen: hilf niemandem, der nicht explizit nach Hilfe gefragt hat. Du holst dir sonst nur ein blaues Auge.
Ab und an habe ich Coachinganfragen von Menschen, die von ihren Partner:innen zum Coaching gedrängt worden sind. Wir Coaches nennen solche Menschen „Geschickte“, weil sie nicht aus eigenem Antrieb kommen. „Geschickte“ haben kein ernsthaftes Interesse an einem Coaching, sondern nur daran, dass sie schnell wieder nach Hause können um zu sagen, dass der Coach dasselbe sagt wie er oder sie auch. Sie blenden meistens auch sehr konsequent Botschaften aus, die ihrem Selbstbild gefährlich werden könnten, und hören nur Dinge, die sie in ihrer Meinung bestätigen.
Trotzdem kannst du verschiedene Dinge tun, um deiner Person zu helfen.
Versuche, im Umfeld deiner Person eine andere Person zu identifizieren, auf die deine Person hört. Diese Person sollte idealerweise Autorität haben, zum Beispiel als ehemalige Vorgesetzte, beruflich Erfahrene oder anderweitig objektivierbar erfolgreich. Sprich im Vertrauen mit dieser Autoritätsperson über deine Ängste und deine Idee, dass ein Coaching sinnvoll sein könnte.
Manche Menschen müssen einen erstaunlich hohen Leidensdruck aufbauen, bis sie bereit sind Hilfe anzunehmen. In vielen Fällen kommt der Druck über gesundheitliche Einschränkungen in der Lebensqualität, z.B. wenn die Belastung sich in Schlaflosigkeit, Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, Magenschleimhautentzündungen oder einem Tinnitus äußert. Versuche in solchen Fällen nicht zu verurteilen oder dich in „ich hab’s dir ja gesagt“-Ausbrüche zu verfallen, auch wenn du jeden Grund dazu hättest. Du hilfst deiner Person damit nicht weiter, sondern drängst sie dadurch noch mehr in die Enge, bis sie aus Verzweiflung um sich schlägt. Versuche stattdessen eine adäquate medizinische Behandlung zu veranlassen, und gib den Ärzten – wenn du kannst – Hinweise auf die von dir beobachtete Belastungssituation deiner Person. Manchmal werden Ärzte als Autorität anerkannt und können ein Umdenken bewirken.
Und pass auf dich selbst auf. Ja, du sollst weiter eine Stütze für deine Person sein, sie braucht dich mehr denn je in dieser Situation. Das heißt aber nicht, dass du mit-leiden musst. Versuche zu unterscheiden zwischen dem Auslöser bei deiner Person und den Umständen, die dich die letzten Nerven kosten. Nehmen wir an, dein Mann oder deine Frau kommt jeden Abend nach Hause und erzählt dieselbe Geschichte („alle sind so dumm“, „XY macht mich fertig“, „ich halte das nicht mehr aus“). Den Auslöser bekommst du aus oben genannten Gründen nicht in den Griff. Aber es ist dein gutes Recht zu sagen: „Ich sehe, dass du leidest. Und ich bin bedingungslos für dich da. Aber ich bitte dich, diese Geschichte nicht noch ein weiteres Mal zu erzählen. Es ist schlimm genug, dass du leidest. Lass mich bitte nicht mit leiden.“ Das ist für deine Person hart, und es wird bestimmt nicht direkt beim ersten Mal funktionieren, denn vermutlich ist die tägliche Leidensgeschichte längst Teil Eures abendlichen Rituals. Sei nicht enttäuscht und nicht wütend, wenn es nicht direkt funktioniert. Rituale brauchen Zeit, bis sie wieder vergehen.
Und steter Tropfen höhlt den Stein. Warte auf einen un-emotionalen Moment zwischen Euch Zweien (also einen Moment, in dem nicht schon einer von Euch emotional geladen ist), schreibe meine Nummer auf eine Karte und lege sie an einen oft frequentierten Ort mit dem Hinweis „Ich weiß, dass du das nicht willst, aber falls du es dir eines Tages anders überlegen solltest, ist hier eine Nummer für dich.“
Halte durch!